Only the fittest will survive!

Der Fachkräftemangel per se ist nichts Neues, die Situation hat sich jedoch zusehends verschärft und mittlerweile gefühlt alle Branchen erreicht. Es wird neuerdings nicht mehr von einem Arbeitgebermarkt, sondern von einem Arbeitnehmermarkt gesprochen. Wählte sich in der Vergangenheit das Unternehmen den Bewerber aus, ist es heute so, dass das Unternehmen um ebendiesen buhlt, und am Ende immer öfter der Bewerber die Wahl trifft, wo und wann er zukünftig seine Brötchen verdient und wie gross diese sein sollen.

Es sind nach wie vor die Menschen, die am Ende ein Unternehmen ausmachen. Es wird in Zukunft Anstrengungen von allen Seiten benötigen, damit liechtensteinische Unternehmen weiterhin erfolgreich am Markt bestehen können. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen (Regulierungen, Homeoffice, etc.) so zu gestalten, damit dies möglich bleibt.

Steigende Regulierungen (Bürokratie), einer von vielen Faktoren, die dazu beitragen, dass die pro Kopf Produktivität in Liechtenstein in den letzten Jahren gesunken ist. Mit den «Babyboomern» verabschieden sich die kommenden Jahre Kapazitäten, die nicht so leicht ersetzt werden können. Die hohe Inflation im Ausland (ausser CH) trägt dazu bei, dass die Lohnschere (zwischen In- und Ausland) kleiner wird, was Arbeitsstellen in Liechtenstein weniger attraktiv macht.

Es gilt Arbeitnehmende, die gewillt sind, auch über das Pensionsalter hinaus im Arbeitsmarkt zu halten. Für Arbeitnehmende, die über keine abgeschlossene Lehre verfügen, sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, modulare Weiterbildungsblöcke abschliessen zu können und damit den Titel einer Fachkraft zu erreichen und nicht ein Leben lang das Dasein einer Hilfskraft fristen zu müssen.

Für die Unternehmen bleibt ein äusserst kompetitiver Wettbewerb, um sich gegenüber anderen als attraktiver Arbeitgeber durchzusetzen. Wer sich den geänderten Gegebenheiten am schnellsten anpassen kann, wird erfolgreich sein. Für Unternehmen gilt heute mehr denn je, ganz im Sinne von Charles Darwin, was immer schon galt; «Only the fittest will survive!» Gut, dass diese Eigenschaft tief in der DNA eines jeden Unternehmers verwurzelt ist!

Thomas Büchel, Geschäftsleiter Büchel Holding AG

 

 


 

Kollege Roboter – übernehmen Sie!

Bis zum Jahr 2030 sollen Roboter und Künstliche Intelligenzen 20 Millionen Jobs ersetzen. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des Oxford Institute of Economics vor drei Jahren und machte damit weltweit Schlagzeilen. Was 2019 für viele nach einer Bedrohung klang, ist heute für viele Unternehmen, die keine Arbeitskräfte finden, eine Erlösung.

Immer mehr Jobs, die gefährlich sind oder niemand gerne macht, können an Maschinen ausgelagert werden. Roboter und Künstliche Intelligenzen werden stetig besser und billiger und können immer anspruchsvollere Aufgaben übernehmen – auf dem Bauernhof oder im Büro. Mit dem Jätrobotor «Rosie», der an der ETH entwickelt wurde, lässt sich zum Beispiel Feldarbeit automatisieren und Unkraut bodenschonend und giftfrei entfernen. Auch in Anwaltsbüros und Arztpraxen gibt es Potenzial für Automatisierung. In einem Experiment mussten ausgebildete Juristen und eine Künstliche Intelligenz, Texte mit Geheimhaltungsklausel analysieren, bei denen es Schlupflöcher gab. Die KI fand die Löcher zu 95%, die Menschen zu 88%, die Juristen brauchten dafür 90 Minuten und die AI 26 Sekunden! Intelligente Bildverarbeitungssysteme sind heute in der Lage anhand von Netzhautscans das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko eines Patienten vorherzusagen, also einfach und schnell Gesundheitsrisiken zu erkennen, die bisher für Fachärzte unsichtbar waren. Eine andere Bildanalyse-KI kann die Energieeffizienz von Gebäuden anhand von Bildern aus Google Street View einschätzen. Sprachassistenten wie Siri kann man bisher zwar erst für einfache Aufgaben brauchen, doch sie lernen schnell. Bis in wenigen Jahren könnten die meisten Inhalte für Websites – Texte, Bilder und Videos – von einer KI autonom produziert werden.

Wenn Arbeitskräfte knapp werden, müssen Unternehmen überlegen, welche Prozesse sie automatisieren und wie sie Mitarbeitende durch den Einsatz von smarter Technologie entlasten können – nicht ersetzen.

Karin Frick, Head Think Tank, Member of the Executive Board GDI Gottlieb Duttweiler Institute

 

 


 

Nur zu viele unattraktive Jobs?

Ist der Fachkräftemangel wirklich immer schuld daran, dass Unternehmen sich schwertun, Talente zu finden – oder könnte ein wesentlicher Grund auch bei den Arbeitgebern selbst liegen, weil ihnen einfach die guten Ideen fehlen?

Allzu oft liegt der Fachkräftemangel nicht an der Branche, der Unternehmensgrösse oder am Standort, sondern an festgefahrenen Strukturen, die kaum Anpassung oder Wandel ermöglichen. Arbeitgeber, die flexibel sind, die Chancengleichheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern, die auch auf die Bedürfnisse ihrer älteren Mitarbeitenden eingehen, werden weniger Probleme haben, ihre Stellen zu besetzen und auch zu halten.

Auch bei der Rekrutierung müssen Arbeitgeber neue Wege gehen. Neben der Sichtbarkeit mangelt es oft an der nötigen Wertschätzung gegenüber Bewerber:innen, etwa, wenn Kandidat:innen Monate auf eine Rückmeldung warten müssen. Dabei verschieben sich die Machtverhältnisse immer mehr von einem Arbeitgebermarkt zu einem Bewerbermarkt. Bewerber:innen können aus vielen Angeboten das Attraktivste wählen. Entscheidende Kriterien sind neben guten Löhnen und Sozialleistungen zunehmend neuzeitliche Arbeitsmodelle, die eine work-life-balance in unterschiedlichen Lebensabschnitt fördern. Innovative Unternehmen werden in naher Zukunft auch die Arbeitszeiten verkürzen – bei vollem Lohnausgleich und gleichbleibender Produktivität.

Sigi Langenbahn, Präsident Liechtensteinischer ArbeitnehmerInnenverband

 

 


 

Verbundausbildung und stetige Weiterbildung

Der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften hat auch Liechtenstein erreicht. Die Gründe dafür dürften ungefähr gleich sein wie in anderen Ländern. Einerseits wirkt sich die demografische Entwicklung negativ auf den Arbeitsmarkt aus, wenn sich mehr ältere Arbeitskräfte aus dem aktiven Erwerbsleben verabschieden als neue Arbeitskräfte nach der Schul- und Ausbildungszeit in die Arbeitswelt einsteigen. Die zunehmende Digitalisierung hat andererseits dazu geführt, dass neue Fachbereiche entstanden sind, die spezifisches Wissen voraussetzen, das nicht in ausreichendem Masse vorhanden ist. Ausserdem können es sich viele gutverdienende Fachkräfte leisten, vorzeitig die Arbeitswelt zu verlassen, deren Wissen und Erfahrung nicht so leicht ersetzt werden kann.

Der Fachkräftemangel weist aber, wie die meisten Dinge des Lebens, zwei Seiten auf. Der beschriebene Mangel deutet auch auf eine ausgezeichnete Verfassung der Wirtschaft hin. Solange Arbeitskräfte und Fachkräfte dringend gesucht werden, so lange befindet sich die Wirtschaft in einer soliden und konkurrenzfähigen Situation.

Dennoch, trotz dieser positiven Kehrseite gilt es, die richtigen Massnahmen für die Behebung des Fachkräftemangels zu treffen. Mit der «Agenda Werkplatz 2025plus» hat die Wirtschaftskammer Liechtenstein eine Strategie für die Zukunft entwickelt. Einer der Schwerpunkte liegt im Bereich «Digitalisierung 4.0». Mit Angeboten für Aus- und Weiterbildung sollen die Arbeitskräfte fit gemacht werden für die neuen Qualifikationsanforderungen aufgrund der technologischen Entwicklungen.

Ein besonderes Anliegen für die Wirtschaftskammer stellt die Grundausbildung der künftigen Arbeitskräfte dar. Den Schulabgängern steht ein breites Spektrum an Berufen zur Auswahl. Weil spezialisierte Betriebe nicht die gesamte Ausbildung von Lehrlingen übernehmen können, wird die Kooperation von Lehrbetrieben gefördert. Mit «100pro!» hat die Wirtschaftskammer auch die Verbundausbildung eingeführt, die es ermöglicht, zusätzliche Lehrstellen anzubieten, die von einzelnen Betrieben nicht gestemmt werden könnten.

Der Fachkräftemangel ist vorhanden, aufgrund der auszeichneten Wirtschaftslage werden kompetente Berufsleute auch weiterhin dringend gesucht – aber mit einer möglichst guten Berufsausbildung unserer Jugend können wir zukunftsgerichtet zumindest etwas Gegensteuer geben.

Dr. Martin Meyer, Präsident der Wirtschaftskammer Liechtenstein

 

 


  

Potenzial liegt bei den Frauen

Fachkräftemangel ist seit Jahren ein Dauerbrenner. Knappheit gehört zum Wesen von Märkten und sie akzentuiert sich bei steigender Nachfrage. 2020 waren in Liechtenstein 15‘000 Personen mehr beschäftigt als 20 Jahre früher – plus 59% – was für eine Nachfrage! Und wenn eine Pandemie den Arbeitsmarkt in einzelnen Branchen (z. B. Gastronomie) zusätzlich durchrüttelt, wird Fachkräfte-Knappheit zum möglichen Wachstumshemmer. Die Demografie wird aber in den nächsten Jahren noch deutlichere Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Die geburtenstarken 60er-Jahrgänge gehen in Pension und die nachrückenden jungen Jahrgänge sind viel kleiner. Ende 2020 lag das Verhältnis der Beschäftigten im Alter 55- bis 64 zu den 15-24-Jährigen bei fast 2:1. Noch können Unternehmen auf dem regionalen Arbeitsmarkt mit Vorteilen punkten, z. B. attraktive Löhnen und Sozialleistungen. Aber die Demografie schlägt auch im angrenzenden Ausland zu, das Arbeitsangebot wird überall knapper, der Kampf um Fachkräfte härter. Für Liechtenstein heisst es: Potenziale nutzen und Standortattraktivität halten. Nicht ausgeschöpftes Potenzial liegt vor allem bei den Frauen. Ihre Erwerbstätigenquote ist vergleichsweise niedrig. Homeoffice und verkehrstechnische Erreichbarkeit werden zunehmend zu einem Faktor beim Stellenentscheid. Zwei Beispiele mit klarem Verbesserungspotenzial. Arbeit an der Standortattraktivität ist eine Daueraufgabe von Politik und Wirtschaft, sie passiert nicht einfach so.

Thomas Lorenz, Geschäftsführer Stiftung Zukunft.li

 

 


 

Ich bin dann mal weg

Die bald meist versandte Art von Mails ist inzwischen die oft auch noch mit einem originellen Formulierungsversuch unterlegte Abwesenheitsmeldung. Ich bin dann mal weg! Nicht wegen den wiederkehrenden, wohlverdienten Ferien, sondern wegen Teilzeitarbeit, wegen eines Sabbaticals, allenfalls wegen eines nicht per se schlechten Vaterschaftsurlaubes, in selbstfinderischer Ausbildungsmission zum Verzeihcoach oder Kränkungsheiler oder gar zwecks Erlernen des Alpkäsens, wobei letzteres immerhin zu einer nutzbaren Befähigung führen kann. Wie lange kann unsere Wirtschaft die zeitgeistgetriebene, woke Welle noch schlucken, die heute schon mit Vollgas frontal gegen die banale, demografiegetrieben unaufhaltsam härter werdende Realität in der Arbeitswelt brandet? Wann sagt sie: Sorry, aber das alles können und wollen wir uns nicht mehr leisten, weil es sich nicht mehr einpreisen lässt bei unseren Kunden, die für ihr Geld arbeiten müssen! Oder hat sie gar keine andere Wahl mehr als gute Miene zum Spiel zu machen? Ist es schon zu spät und Europa wird zum selbstgebauten Museum der Welt? Museumsbesuchern aus anderen Erdteilen dürfte jedenfalls der Bauch weh tun vor lauter Lachen.

Christoph Wenaweser, Inhaber Manicor